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Thomas Hausmanninger

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Sozialethische Anmerkungen

In den freiheitlichen modernen Gesellschaften scheint eine neue "Sehnsucht nach Gemeinschaft" (Alois Baumgartner) zu entstehen. Etwa bereits seit den 1980er Jahren entwickelt sich in den USA die Diskussion um den Kommunitarismus, der die moderne "Zivilgesellschaft" durch Gemeinschaftselemente menschlicher machen m?chte. Zun?chst als eher politikwissenschaftliche und ethische Debatte geführt, hat sich diese Diskussion inzwischen in eine "Bewegung" verwandelt, die gesellschaftspolitische Wirkung zu gewinnen versucht. Seit kurzem werden diese Versuche zudem in Deutschland parallelisiert: Ein "Deutsches Kommunitariernetz" beabsichtigt nicht weniger, als eine Umorientierung der Gesellschaft zu einer "Gemeinschaft aus Gemeinschaften" (Vgl. http://www.dekomnetz.de). Es veranstaltet hierzu Kongresse, einen Internet-Auftritt und Newsletters, die per E-Mail unbestellt an allerlei wissenschaftliche und politische Einrichtungen versandt werden.


Seit einiger Zeit wird in Bayern von Alois Glück eine Diskussion mit ?hnlicher Ausrichtung vorangetrieben. Unter dem Titel der "Neuen Aktiven Bürgergesellschaft" bündeln sich politische Bestrebungen, die eine Umorientierung der Gesellschaft zu einer st?rker gemeinschaftlichen Ausrichtung bewirken wollen. In einem "Diskussionsleitfaden" mit der programmatischen ?berschrift "Damit wird Deutschland leistungsf?higer und menschlicher" liegt das Konzept nun gebündelt vor. Flankiert wird diese Vorlage von einigen Modellprojekten, die bereits Umsetzungsm?glichkeiten erproben sollen. Gleichzeitig aber wollen die Verantwortlichen mit dem Leitfaden eine ?ffentliche Diskussion ansto?en, in die nicht zuletzt auch die Kirchen einbezogen werden sollen. Im folgenden will ich mich daher mit einigen zentralen Elementen des genannten Diskussionsleitfadens aus einer sozialethischen Perspektive besch?ftigen. Dazu soll die zu führende Diskussion jedoch zun?chst in den Rahmen gestellt werden, in dem sie geführt werden muss, n?mlich den ideellen, normativen Kontext der demokratischen Gesellschaft, die zu einer Neuen Bürgergesellschaft vordringen soll.

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Grunds?tzliche Vorgaben für die Neue Bürgergesellschaft

Die Neue Bürgergesellschaft entsteht nicht in einem Vakuum. Ihr geht die historische Entwicklung der modernen demokratischen Gesellschaft voraus. Diese ist auf das Fundament von drei Rechtsbereichen gestellt:

  • Durch die bürgerliche Freiheitsbewegung im 18. und 19. Jahrhundert entstehen geschichtlich die personalen Freiheitsrechte. Ihr Kern besteht im Recht auf freie pers?nliche Entfaltung, ohne vom Staat dabei beeintr?chtigt zu werden. Staat und Gesellschaft werden voneinander unterschieden: W?hrend Gesellschaft den Raum der freien Entfaltung der Privatleute (Georg Wilhelm Friedrich Hegel) bezeichnet, bildet der Staat die politische Dachorganisation dieser Gesellschaft mit der Aufgabe, diese freie Entfaltung zu sichern. Grenze der Freiheit bildet in diesem Konzept stets die Freiheit der anderen.
  • Die demokratische Bewegung (englische, amerikanische und franz?sische Revolution) führt allm?hlich demokratische Mitwirkungsrechte herauf. Diese Mitwirkung soll allen erwachsenen Gesellschaftsmitgliedern offen stehen und bezieht sich auf ?ffentliche Angelegenheiten, d.h. all jene Fragen und Probleme, deren L?sung alle betrifft. Gesellschaft erscheint dabei als Ort der politischen Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger. Aufgabe des Staates ist die Gew?hrleistung dieser Mitwirkungsrechte und repr?sentative Berücksichtigung der politischen Willensbildung in der Gesellschaft bei der politischen Entscheidungsfindung und im politischen Handeln.
  • Die soziale Bewegung, angesto?en von der "Sozialen Frage" im 19. Jahrhundert, macht bewusst, dass die Gesetze des Marktes nicht automatisch zum allgemeinen Wohl führen. Aus dieser Erfahrung heraus entwickeln sich soziale Anspruchsrechte. Aufgabe des Staates wird es daher auch, zumindest jene grunds?tzlichen Bedingungen bereitzustellen, ohne die Menschen nicht mehr überlebens- und entfaltungsf?hig sind. Gesellschaft ist der Ort, an dem einerseits der Diskurs über soziale Anspruchsrechte geführt werden muss. Andererseits k?nnen einige dieser Rechte auch unabh?ngig vom staatlichen Handeln gesellschaftlich eingel?st werden.
Chancen und Grenzen der Neuen Bürgergesellschaft

Der Neuen Bürgergesellschaft erwachsen aus den genannten Vorgaben Verpflichtungen, Chancen und Grenzen:

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Die Neue Bürgergesellschaft darf die personalen Freiheitsrechte nicht aufheben oder beeintr?chtigen. Ihr Ziel muss es sein und bleiben, freie pers?nliche Entfaltung zu erm?glichen, zu wahren und zu f?rdern. Hierzu rechnet nicht zuletzt die Freiheit, pers?nliche Wertvorstellungen und Lebenspr?ferenzen zu entwickeln. Da dies unvermeidbar Pluralit?t hervorbringt, muss die Neue Bürgergesellschaft auch diese Pluralit?t mindestens respektieren. Sie kann diese Pluralit?t jedoch als Chance aufnehmen: In ihr liegt ebenso ein kreativer Reichtum, der das gesellschaftliche Leben f?rdert und voranbringt. Gerade als Bürgergesellschaft, die individuelles Engagement stimulieren m?chte, ist sie auf die Kreativit?t und den Einfallsreichtum der einzelnen Gesellschaftsmitglieder angewiesen. Vielfalt ist hierfür allemal geeigneter als Einfalt.

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Daher bedarf die Neue Bürgergesellschaft nicht eines monolithischen Ethos, das allen dieselbe Moral vorschreibt. Erforderlich ist vielmehr ein Grundkonsens, der menschenrechtlich orientiert ist. Diese menschenrechtliche Orientierung ist als Rahmenethos von allen Gesellschaftsmitgliedern zum Fundament ihrer Moralvorstellungen zu machen. In diesem Rahmen und auf diesem Fundament aber müssen die einzelnen Individuen und Gruppen frei sein, ihre je pers?nlichen, identit?tsstiftenden Moralvorstellungen zu entwickeln. Dies gilt mehr noch auch für die Geschmackspr?ferenzen und lebens?sthetische Selbstinszenierung von Personen. Die gegenw?rtige Rede von der "Leitkultur" erscheint daher ?u?erst unglücklich: Sie erweckt die Assoziation, sich gerade nicht auf ein Rahmenethos und damit einen notwendigen moralischen Grundkonsens zu beziehen, sondern vielmehr detaillierte moralische, ?sthetische und stilistische Vorgaben für den Lebensvollzug und Selbstentwurf der Personen machen zu wollen. Ein solches Korsett w?re jedoch nicht hilfreich, auch nicht für die Ziele, die mit dem Bürgergesellschaftskonzept verfolgt werden und die keineswegs einer derart ausgreifenden Leitkulturvorstellung bedürfen. Fragen der Integration ausl?ndischer Mitbürgerinnen und Mitbürger wiederum lassen sich gleichfalls besser verhandeln, wenn nicht durch einen derart hegemonial anmutenden Begriff die Sicht auf die Legitimit?t kultureller Pluralit?t verdeckt wird und dann die eher funktionalen Fragen nach n?tigen Bedingungen für eine pluralit?tsfreundliche Integration - wie etwa Sprachkompetenz - nicht mehr mit der gebotenen Sachlichkeit gestellt werden k?nnen.

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Gewahrt werden muss zudem auch die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft. Das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern ist zuerst einmal ein gesellschaftliches Ph?nomen. Entsprechend muss auch die Organisation und Ordnung dieses Engagements in der Gesellschaft verbleiben, d.h. den Bürgerinnen und Bürgern überlassen bleiben. Staatliche Einflussnahme hingegen muss sich auf die Erm?glichung und F?rderung solchen Engagements beschr?nken. Weder kann bürgergesellschaftliches Engagement den Staat ersetzen, noch darf dieser die Bürgergesellschaft in sich aufsaugen.

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Des weiteren deutet die immer wieder beklagte Politikmüdigkeit vieler Bürgerinnen und Bürger darauf hin, dass die Menschen heute eine Verselbst?ndigung des Systems der Politik zu Lasten ihrer Mitwirkungsrechte wahrnehmen. Nicht einfach in der Respektierung, sondern in der F?rderung der demokratischen Partizipation "von unten" liegen daher die gr??ten Chancen der Neuen Bürgergesellschaft. Wo das Engagement für ?ffentliche Belange sich wieder lohnt, gewinnt die Gesellschaft an Lebendigkeit und Zusammenhalt. Die mit mehr demokratischer Partizipation verbundene Minderung der Macht gew?hlter Entscheidungstr?ger und -tr?gerinnen wird zudem durch erh?hte Sicherung von Akzeptanz getroffener Entscheidungen und politische Stabilit?t ausgeglichen.

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Mit Blick auf die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft bedeutet dies, dass politische Willensbildung, die Aufgabe der Gesellschaftsmitglieder ist, damit wieder mehr in die politische Entscheidungsfindung und das politische Handeln auf staatlicher Ebene integriert wird. Staat kann damit wieder st?rker werden, was er sein soll: Repr?sentative politische Dachorganisation der Gesellschaft statt einer Handlungssph?re, die der gesellschaftlichen Willensbildung geradezu fremd gegenübersteht.

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Schlie?lich aber ist seit der Wende von den 70er zu dem 80er Jahren des 20. Jahrhunderts international mehr und mehr ein neoliberales Wirtschaftskonzept durchgesetzt worden. Obwohl das System der reinen Marktwirtschaft bereits im 19. Jahrhundert durchgetestet worden ist, erwarten sich viele heute wieder allein von Markt und Wettbewerb ?ffentliches Wohl. Dass Markt und Wettbewerb im 19. Jahrhundert die "Soziale Frage" gerade nicht l?sen konnten, scheint dabei ebenso in Vergessenheit geraten zu sein, wie die Tatsache, dass noch immer die Lehrbücher der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre umfangreiche Kapitel über "Marktversagen" enthalten.

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Die Neue Bürgergesellschaft würde daher gef?hrliche Wege beschreiten, wenn sie die sozialstaatliche Indienstnahme der Wirtschaft zugunsten des neoliberalen Konzepts aufkündigt und die Erfüllung der sozialen Anspruchsrechte auf die Schultern der Individuen abzuw?lzen sucht. Wo immer aus historischem Lernen gewachsene sozialstaatliche Strukturen abgebaut werden, muss daher eine entsprechende komplement?re strukturelle Einforderung der Sozialpflichtigkeit ?konomischer Erfolge treten.

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Keine L?sung hingegen kann es sein, in ?konomischer Hinsicht blanke Orientierung am eigenen Vorteil zu predigen, und dann über die mangelnde Bereitschaft der Individuen zum sozialen Handeln zu klagen. Auch ist den Verlierern in einer Situation zunehmender ?konomischer Vogelfreiheit nicht geholfen, wenn man von ihnen lediglich mehr Moral fordert, anstatt ihre Situation zu verbessern. Diese Verbesserung aber kann nicht nur von den Individuen und ihrem pers?nlichen Engagement in "Netzwerken" für andere geleistet werden, sondern muss auch strukturell erfolgen. Sie bedarf der gesellschaftlichen und staatlichen Indienstnahme der ?konomie.

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Das Konzept der Neuen Bürgergesellschaft enth?lt viele Elemente, die diesen Vorgaben entsprechen. Es enth?lt jedoch auch Passagen und Formulierungen, die ihnen entgegenstehen oder zu problematischen Folgen führen k?nnen.

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St?rkung politischer Partizipation als Chance im Diskussionsleitfaden

Zu den au?erordentlich begrü?enswerten Elementen im Diskussionsleitfaden zur Neuen Bürgergesellschaft z?hlt die durchg?ngig spürbare Absicht, demokratische Partizipation der Bürgerinnen und Bürger zu st?rken.

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Aufgenommen wird beispielsweise das Konzept der "Planungszellen", das Peter Dienel bereits 1978 als Alternative zur "Establishment-Demokratie" vorgeschlagen hat: Auf der Ebene der Kommunalpolitik sollen solche Planungszellen z.B. in Form eines Bürgergutachtens die spezifischen Kompetenzen der Bürgerinnen und Bürger in den politischen Entscheidungsprozess einbringen k?nnen (6). Gest?rkt werden sollen zudem Bürgerversammlungen, die nicht einfach nur der "Selbstdarstellung von Kommunalpolitikern" dienen, sondern "Ort der Kommunikation" sein sollen (6). Generell wird so nach Wegen gesucht, wie engagierte Bürgerinnen und Bürger "mit ihrem Know How" in politische Prozesse eingebunden werden k?nnen (24). Darüber hinaus fordert das Konzept eine erh?hte Transparenz der politischen Entscheidungsfindung (6).

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Allerdings beschr?nken sich diese Partizipationselemente auf die Kommunalpolitik. Auch wenn die "Graswurzeldemokratie" (Benjamin Barber u.a.) unzweifelhaft hier ihren speziellen Ort hat, so sollte das Konzept doch über diese hinausgedehnt werden: Neue Bürgerpartizipation muss sich auch auf Bundespolitik erstrecken k?nnen. Der Diskussionsleitfaden enth?lt dafür ungenutztes Potential, an das sich jedoch anknüpfen l?sst.

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Die neuen Formen bürgergesellschaftlicher demokratischer Partizipation werden zudem dem gesellschaftlichen Wandel besser gerecht: Die überkommene Partizipationsvorstellung orientiert sich noch mehr am Modell einer korporatistischen Gesellschaft, d.h. einer Gesellschaftsform, die sich in k?rperschafts?hnlichen Formen wie Verb?nden und Vereinen organisiert. Demokratische Repr?sentanz und Partizipation wird in diesem Modell dann auch über die Beteiligung und den Einbezug eben von Verb?nden etc. bei politischen Entscheidungsprozessen hergestellt. Daher werden beispielsweise Vertreter gro?er Interessenverb?nde in der Regel von Parlamentsausschüssen geh?rt, wenn Gesetzgebungsverfahren zu diese betreffenden Sachverhalten anstehen.

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Heute jedoch organisieren sich Menschen nicht mehr in erster Linie auf diese Weise. Sie bilden vielmehr kurzfristigere, jedoch nicht weniger verbindliche Sozialverb?nde, die sich mehr an von den Individuen aus unterschiedlichen Gründen gew?hlten Themen orientieren. Die Soziologie spricht hier von issue-Gemeinschaften. Dritte-Welt-Initiativen, Mutter-Kind-Gruppen oder der Aktions-Treff im Frauenbuchladen sind solche issue-Gemeinschaften. Ihre Partizipation l?sst sich daher besser durch neue Formen bürgergesellschaftlicher Mitsprache organisieren, da diese den Prozessen individueller Verbindlichkeitswahl und Themenzentrierung mehr entsprechen.

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Erfreulich ist weiter, dass der Diskussionsleitfaden auch strukturelle Verantwortung einfordert. Er sucht so nicht einfach - oder zumindest nicht durchg?ngig - strukturelle Entsicherung der Bürgerinnen und Bürger mit Appellen an individuelles soziales Engagement zu kompensieren.

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So nennt er etwa im Bereich der familienpolitischen ?berlegungen die Flexibilit?tserfordernisse der Arbeitsgesellschaft und sieht die Gefahr einer "strukturellen Rücksichtslosigkeit" (7). Ebenso regt er eine "Kooperation zwischen Kommune, Wirtschaft und Freien Tr?gern" (8) bei Fragen der Familienpolitik an. Zumindest auf Unternehmensebene soll zudem auf eine "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" (8) hingearbeitet werden.

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Allerdings w?ren diese Elemente struktureller Verantwortung st?rker herauszustreichen. Es entspricht einer anderen, gegenl?ufigen Linie im Diskussionsleitfaden, dass beispielsweise die Vereinbarkeit von Familie und Beruf lediglich durch den guten Willen von einzelnen Unternehmen geleistet werden soll. Statt dieser punktuellen Regelung w?re hier eher eine generelle Regelung angebracht, die dann einen für alle Unternehmen identischen Wettbewerbsrahmen setzt. Ein solcher Rahmen erlaubt es den einzelnen Unternehmen dann auch leichter, entsprechenden guten Willen auszubilden - die Gefahr, dadurch zum Verlierer im Wettbewerb zu werden, wird durch den für alle geltenden Rahmen geringer.

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Schlie?lich setzen eine sich von unten her aufbauende Partizipation und bürgergesellschaftliches Engagement die Kompetenz voraus, sich miteinander auch über divergente Lebensentwürfe und Moralvorstellungen hinweg verst?ndigen zu k?nnen. Gef?rdert werden muss daher kommunikative Kompetenz. Zu dieser geh?rt es, den eigenen Standpunkt nicht zu verbergen, sondern in den Diskurs einzubringen und n?tigenfalls für ihn zu streiten. Gleichwohl muss dieser Streit stets vom Bewusstsein getragen sein, dass andere denselben Anspruch auf ihre Lebensart haben, wie das jeweilige Ich, sowie dass Fremdheit nicht gleichbedeutend ist mit minderwertig. Daher geh?rt zur kommunikativen Kompetenz auch eine Toleranz, die das Fremde gelten l?sst ohne das Eigene zu verstecken. Toleranz bedeutet nicht, sich zu andersartigen Lebensvorstellungen beziehungslos gleichgültig zu verhalten. Sie bedeutet jedoch auch nicht, anderen mit dem arroganten ?berlegenheitsgefühl eines Kolonialherrn oder Angeh?rigen einer "h?herwertigen Kultur" zu begegnen. Jede Insistenz auf dem Eigenen muss sich daher zugleich bereit finden, sich für das Recht anderer auf ihre Eigenart zu engagieren.

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Der Diskussionsleitfaden kommt diesen Erfordernissen entgegen, wenn darin eine F?rderung von "Grundkompetenzen des Zusammenlebens" durch die Jugendarbeit (10) und die F?rderung "sozialer Kompetenzen" durch die Schule (13) gefordert werden. Diese Kompetenzen schlie?en kommunikative Kompetenz ein. Jedoch t?te der Leitfaden gut daran, kommunikative Kompetenz eigens zu nennen und zu umrei?en. Hierdurch würde auch deutlicher, wie die soziale Integration Fremder (10, 13) - deren Nennung gleichfalls begrü?enswert ist - gelingen k?nnte.

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Ausgleich von Struktursch?den durch personale Solidarit?t als problematische Tendenz des Diskussionsleitfadens

Prek?r im Diskussionsleitfaden erscheint vor allem eine wiederholt auftretende Tendenz, strukturelle Solidarit?t durch individuell zu leistende Solidarit?t zu ersetzen. Dabei werden zugleich Entsicherungsprozesse der Gegenwart entweder einfach als unvermeidbar hingenommen oder noch vorangetrieben. Scheinbar schlüssig gemacht wird diese Tendenz zudem durch eine einseitige Auslegung des Subsidiarit?tsprinzips, die zu dessen ursprünglichem Gehalt im Widerspruch steht.

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So wird Subsidiarit?t als "staatsrechtliches Pendant zur dezentralen ?konomischen Marktsteuerung" (19) betrachtet. Dabei wird betont, dass sich eben diese Marktsteuerung nicht vertrage mit der ?bernahme von "immer mehr Verantwortung durch den Staat" (19). Entsprechend achtet der Leitfaden an vielen Stellen in erster Linie darauf, wie und wo strukturelle Solidarit?t aufgegeben werden kann zugunsten einer von den Individuen selbst mit eigenen Kr?ften herzustellenden Solidarit?t. So soll beispielsweise geprüft werden, wo T?tigkeiten statt von hauptamtlichen durch ehrenamtliche Kr?fte übernommen werden k?nnen (18), wo sich statt staatlicher oder kommunaler Dienste auf die "Selbsthilfe der Bürger" vertrauen lie?e (18), ob das Arbeits- und Tarifrecht nicht "zeitgem??er" - d.h. wohl: regional unterschiedlich - gestaltet werden k?nnte (18) etc. Die ?berlegungen gipfeln darin, schlie?lich sogar Solidarit?t selbst durch Wettbewerb herstellen zu wollen: "Wettbewerb ist solidarischer als Teilen" (19).

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Demgegenüber ist darauf zu bestehen, dass historisch und systematisch der Subsidiarit?t die Solidarit?t vorausgeht: Lange vor dem Subsidiarit?tsprinzip wird im Sozialkatholizismus der "Solidarismus" (Heinrich Pesch) entwickelt. Bei der expliziten Formulierung des Subsidiarit?tsprinzips ist daher Solidarit?t bereits mitgedacht. Wenn es in der Enzyklika Quadragesimo Anno Nr. 79 hei?t, das, was der Einzelmensch leisten k?nne, dürfe ihm nicht durch die Gesellschaftst?tigkeit entzogen werden, so ist damit eine Untergliederung der Solidarit?t angezielt - nicht aber, die Menschen mit ihren Notlagen m?glichst weitgehend allein zu lassen. Eben deshalb ist an dieser Stelle auch davon die Rede, dass die Gesellschaftst?tigkeit "die Glieder des Sozialk?rpers unterstützen" solle. Gerade diese Nennung der Unterstützung verweist darauf, dass es letztlich um die Organisation einer solidarischen Bereitstellung von Bedingungen geht, die den Individuen ihre Selbstentfaltung erm?glichen sollen.

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Diese Selbstentfaltung aber kann nicht mehr vollzogen werden, wenn den Individuen Kraft und Mittel fehlen. Hier ist solidarische Hilfeleistung gefordert, nicht der Rat, sich selbst zu helfen, oder der Appell an "Eigenverantwortung". Soll das Subsidiarit?tsprinzip also zutreffend angewendet werden, so muss ?u?erst sensibel auf die Grenze der Leistungsf?higkeit der Individuen und Gruppen geachtet werden. Dies gilt zudem auch für jene, die nach der Tendenz des Diskussionsleitfadens an die Stelle struktureller Solidarit?t treten sollen - angesichts der gleichzeitig geforderten Verst?rkung von Markt und Wettbewerb in allen gesellschaftlichen Bereichen (19) fragt sich, wann und wie die darin eingespannten Individuen noch Energie und Zeit für ihr solidarisches Engagement finden sollen.

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Allerdings ordnet sich dem Letztgenannten ein weiteres prek?r erscheinendes Element bruchlos zu: Die wiederholte Betonung der Wichtigkeit von Tradition und einer auf das ?berkommene abhebenden Wertorientierung. Hier wird gegen die positiv vermerkten Elemente des Konzepts die Denkfigur einer bestimmten Kulturkritik spürbar. In dieser werden Markt und Wettbewerb zusammen mit allen strategischen Kompetenzen, die von den Individuen hierfür entwickelt werden müssen, schrankenlos bejaht. Weder die Entsicherung, die aus Marktprozessen für die Individuen hervorgehen kann, noch die Erosion der sozialen Bindungen durch die Erfordernisse hohen Arbeitseinsatzes und gr??ter Flexibilit?t, noch auch die Aush?hlung des Ethos, die der Vorrang strategischer Orientierungen bewirken kann, werden wahrgenommen. Stattdessen wird in dieser Kulturkritik die Selbstverwirklichungs- und Selbstentfaltungsorientierung der Individuen für den Zerfall der sozialen Bindungen und des Ethos verantwortlich gemacht - diesmal, ohne die hohen Bindungskr?fte freiwilliger Verpflichtungen und selbstgew?hlten sozialen Engagements wahrzunehmen, die aus eben dieser Orientierung erwachsen. Als L?sung empfiehlt diese Kulturkritik daher die gesellschaftliche Durchsetzung eines monolithischen Ethos, das an die Stelle der "Selbstverwirklichungswerte" treten soll. Diese L?sung aber ist prek?r nicht nur, weil sie im Widerspruch zur freiheitlichen Grundorientierung moderner Gesellschaften steht und Pluralit?t aufheben will. Sie ist es auch gerade, weil sie auf einer fehlgehenden Diagnose basiert.

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Der Diskussionsleitfaden rückt dieser Kulturkritik und ihrer L?sungsempfehlung immer dort nahe, wo er Tradition, "Brauchtum" (13), Heimatgefühl (14) und "Werte" (13) oder auch "traditionelle Werte" (11) als Heilmittel für jene Probleme empfiehlt, die durch "Globalisierung, Internationalisierung, Mobilit?t und Flexibilit?t" (13) hervorgerufen werden. Er reproduziert zudem die bruchlose Bejahung und kritiklose F?rderung eines neoliberalen Wirtschaftskonzepts, wenn er nur die Frage zulassen will, "welche Ma?nahmen [...] ergriffen werden müssen, damit die Bürger Ja sagen k?nnen zu mehr Wettbewerb" (19). Versch?rft wird dies - durchaus im Muster der genannten Kulturkritik - durch die ?bertragung von Markt und Wettbewerb als Organisationsprinzipien auf nicht?konomische Bereiche. Wo beispielsweise Schulen "Profil" bilden sollen (15), wird zugleich unter der Hand strategisches Denken zum Ma?stab auch für das Handeln jenseits der ?konomie.

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Hier w?re daher die unreflektiert wirkende "konservative" Rhetorik der Werte und traditionellen Orientierungsformen zu korrigieren. N?tig erscheint eine realistische Wahrnehmung aller aus eben der Selbstentfaltungs- und Selbstbestimmungsorientierung erwachsenden neuen Sozialit?t und ihrer Verbindlichkeitsbereitschaft. Diese muss konstruktiv aufgenommen, nicht aber abqualifiziert und bek?mpft werden. Der Diskussionsleitfaden bietet hierfür durchaus Anknüpfungspunkte - so etwa, wenn er bei der Gliederung des bürgerschaftlichen Engagements mit der Nennung von amtslosem Engagement, kurzzeitigem ungebundenem Engagement und Selbsthilfegruppen (22, 23) eben die neuen Sozialformen der issue-Gemeinschaften in Blick nimmt. Anstatt regressiven Sehnsüchten nach vormodernen Gemeinschaftsgesellschaften nachzuh?ngen, k?nnte sich das Konzept so zeitgem?? an einer pluralen, aus vielf?ltigen, selbstgew?hlten Partialgemeinschaften bestehenden Gesellschaft und nach vorne orientieren.

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Weiterentwicklung statt Verabschiedung

Das vorgelegte Konzept versteht sich als Diskussionsleitfaden. Es will mithin einen Dialogprozess initiieren und in diesen auch - wie dem Vorwort zu entnehmen ist - Interessierte aller Bereiche einbeziehen. Die skizzierten Kritikpunkte sollten daher keinen Anlass geben, das Konzept schlankweg zurückzuweisen. Gehen muss es vielmehr um eine Weiterentwicklung all jener konstruktiven Momente, von denen letztlich die ?berzeugungskraft des Konzepts für viele getragen wird. Allerdings erscheint eine gründliche Revision der genannten prek?ren Elemente dringlich geboten, wenn die Neue Bürgergesellschaft nicht letztlich doch als "Reaktion auf leere Kassen" (22) erscheinen soll. Für diese Revision k?nnte zudem auch eine Umstellung im Titel programmatisch sein: Soll die Neue Bürgergesellschaft sozialethisch tragf?hig sein, so muss sie aller erst darauf abstellen, dass Deutschland menschlicher wird. Dies w?re denn unabdingbare Voraussetzung dafür, dass die gemehrte Leistungsf?higkeit wirklich etwas wert ist.

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Literatur und Links:
  • "Damit wird Deutschland leistungsf?higer und menschlicher". Ein Diskussionsleitfaden, o.J. - Im folgenden werden Zitate und Verweise auf diesen Leitfaden durch Seitenzahlen in Klammern im Text selbst gekennzeichnet. - Der Diskussionsleitfaden ist erh?ltlich bei: CSU-Landesleitung, Grundsatzkommission, Nymphenburger Str. 64, 80335 München.
  • Dienel, P.: Die Planungszelle. Eine Alternative zur Establishment-Gesellschaft, Opladen 1978.
  • Honneth, A. (Hg.): Kommunitarismus. Eine Debatte über die moralischen Grundlagen moderner Gesellschaften, Frankfurt/M. 1993.

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http://www.efh-freiburg.de/be

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(c) 2001 Thomas Hausmanninger und Stimmen der Zeit

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